Madleina
Rutishauser

Schneiderin & Unternehmerin



«Für jede Gefühlslage ein anderes Kleid»

BÜHLER – Madleina Rutishauser hat mehrere Umwege in Kauf genommen, um ihrem ganz eigenen Weg immer näher zu kommen. Mit «Gwand vo Hand» hat die ehemalige SBWlerin (Primaria/SBW Herisau, 2008-2012) vor einem Jahr eine kleine Schneiderei für nachhaltige, massge­schneiderte Mode gegründet. Ein Besuch vor Ort.

Bühler, an einem späten Herbst­nachmittag. Zum Haus schräg oben am Hügel gibt es keine Zufahrt. Neben dem Bauwagen an der Strasse parke ich meinen Wagen. Über eine steile Treppe erreiche ich das kleine Haus mit Scheune, wo sich die Schneiderei «Gwand vo Hand» befindet. In der hohen Scheune sticht neben Nähmaschine und Schneider­puppe ein dickes Seil ins Auge. «Neben der Schneiderei habe ich mir hier den Traum eines Vertikalseils erfüllt», sagt Madleina Rutishauser (25) und strahlt.

Schwerpunkt Kunst

Im Garten nehmen wir Platz. Schnell wird mir klar: Madleina Rutishauser wagt, wovon sie träumt. Schritt für Schritt setzt sie um, was in ihr schlummert. Lange hatte sie gerungen, wohin sich ihr beruflicher Weg entwickeln könnte. Nach der Fachmatura mit Schwerpunkt «Kunst» hat sie mehrere Wege ausprobiert, ein Studium in Musik und Bewegung begonnen, ein zweites in Elementar­pädagogik. Beides hat sie abgebrochen, weil es sich nicht richtig, nicht passend angefühlt hatte, zu viele Kompro­misse erfordert hätte. Viel Mut habe es sie gekostet, die Konsequenzen daraus zu ziehen. «Vom geradlinigen Weg abzukommen, macht als erstes Angst, vor allem, wenn man noch nicht um die Kurve sieht, noch nicht weiss, wie es weitergehen könnte», sagt Madleina Rutishauser.

Sein eigenes Ding machen

Irgendwann hat sie sich entschieden, den ganz eigenen Weg zu gehen, sprich die eigenen Bedürfnisse und Leiden­schaften ernst zu nehmen und dafür auch Umwege in Kauf zu nehmen. Umwege erhöhen die Ortskenntnis, heisst es. Inzwischen hat sie mit dem Kleider­gestalten ihr ganz eigenes Ding gefunden. Schon als Kind habe sie sich gerne verkleidet. Ein Tuch auf dem Kopf machte sie zur Piratin. Der alte, viel zu grosse Rock verlieh ihr Zauberkräfte. Und der Familie habe sie immer wieder mal Kleider abge­schwatzt. Der Mutter zum Beispiel drei Blusen, die sie zu einem Jupe verarbeitete, das erste textile Upcycling-Projekt.

Autodidaktin

Anstelle einer Berufslehre begann sie, sich erste Nähfer­tigkeiten beizubringen und ihr Wissen an der Unique – Fachschule für Mode und Schnitt in St.Gallen zu vertiefen. Nach vier Basis­lehr­gängen in Schnitttechnik und fachgerechter Verarbeitung schliesst Madleina Rutishauser die Ausbildung im Dezember mit dem Diplom «Fashion Stylist» ab. Parallel dazu arbeitete sie im Altersheim oder in einem Kindergarten, um ihr kleines Unternehmen «Gwand vo Hand» schrittweise entwickeln zu lassen, eine kleine Schneiderei für nachhaltige Mode, vom ersten Bleistift­strich bis zum letzten Knopf alles von Hand, mal klassisch mal flippig, alles massge­schneidert.

Die zweite Haut

«Kleider sind unsere zweite Haut, liegen ganz nah auf unserem Körper», sagt Madleina Rutishauser. «Kleider sollten unsere Persönlichkeit in best­möglicher Weise hervorheben und unsere Gefühle unterstreichen.» Deshalb hat Madleina Rutishauser für jede Gefühlslage ein eigenes Kleid. Ein luftiges Sommerkleid aus indischer Baumwolle, um über die Blumenwiesen zu schweben. Eine Latzhose aus fester Leine, um sich zu erden und im Garten zu arbeiten. Oder ein rotes, selbstbe­wusstes Kleid, um auf elegante Art und Weise die Welt zu erobern.

Im «Lattich» mitwuchern

Die Abendsonne verschwindet hinter dem Hügel, schnell wird es frisch. Noch ein kleiner Blick in die nahe Zukunft. Zurzeit ist Madleina Rutishauser dabei, den Holzbau­wagen unten an der Strasse winterfest zu machen und in eine «Schneiderei auf vier Rädern» umzu­funktionieren. Ab nächstem Frühling möchte sie von den Voralpen in die Stadt ziehen und sich unters Volk mischen. Die Zwischen­nutzung «Lattich» auf dem St.Galler Güter­bahnhof-Areal erhält mit dem Rückbau der Geleise der Appenzeller Bahnen die Möglichkeit, zusätzlich freiwerdende Brachflächen an kreative Mitwuchernde zu vermieten. Madleina Rutishauser träumt davon, dort bei offener Türe arbeiten zu können und mit Passantinnen und Passanten unverbindlich ins Gespräch zu kommen. Der nächste Versuch in der Disziplin «Wage, wovon du träumst».

www.gwandvohand.com
Bildstrecke im Tagblatt

Mark Riklin

Hoch oben im Horst – Meine Zeit an der SBW

Eine Geschichte, die mir sofort einfällt, wenn ich an meine Primaria Zeit zurückdenke: Eines Morgens, als ich im Lernatelier war und meine Lernziele verfolgte (oder vielleicht war es auch umgekehrt), wollten eine Freundin und ich auch unseren eigenen Arbeits­platz haben, so wie ein anderes Mädchen immer am selben Platz arbeiten durfte. Kurzent­schlossen zeigte ich aus dem Fenster auf den Baum, als ich von einem Lernbegleiter gefragt wurde, wo denn dieser Platz sein sollte. Und so machten wir uns kurz darauf mit Holz und Werkzeugen ausgerüstet auf in den Garten und errichteten diesen Horst hoch oben in den Bäumen, an welchem sich wunderbar mit Zahlen jonglieren und den Geschichten des Windes lauschen liess.

Dies ist nur eine kleine Geschichte, die jedoch meine SBW-Zeit ziemlich gut beschreibt. Lernen ist etwas Wunderschönes, nur die Art und Weise, "wie man dies zu tun hat", kann einem manchmal auch die Freude daran verderben. In der SBW wurde mir in vielen Bereichen diese Freiheit gelassen, auf meine eigene Art und Weise zu lernen, und auch viel Raum, dem nachzugehen und darin unterstützt zu werden, was mich persönlich interessiert. Einen Grossteil der Schulzeit konnte ich selbst bestimmen.

In der Primaria wurde mir viel Raum gelassen, meinen Interessen und dem Draussen-Sein nachzugehen. In der Sek wurde das ganz Freie etwas eingeschränkt, doch die CréActivas ermöglichten mir die Nachmittage mit etwas zu verbringen und mich mit Themen zu beschäftigen, welche sich auch hinter dem "Schultellerrand" befinden. Da das Angebot so breit gefächert war, konnte ich mich auch in der Schule mit den Fragen des Klima­wandels und des Naturschutzes auseinan­dersetzen (Green Up Your Life), mit neuem Blick durch das Dorf gehen und verborgene Plätze entdecken (Location Scouts) oder meinen Gleichge­wichtssinn, Schwindel­freiheit und Sprungkraft trainieren (Artistik).

Im künstlerischen Weiter­bildungs­jahr konnte ich ganz in die Welt der Kunst eintauchen, jeden Tag meiner Neugierde für die Musik, Tanz, Theater, Farben und Formen nachgehen, um den Mut, Verrücktes zu tun, nicht zu verlieren. Denn manchmal muss man Dinge eben verrücken, um den Blick frei zu haben ;) Insofern konnte ich über die Hälfte der Schulzeit selbst bestimmen, weil ich selbst entscheiden konnte, in welche Richtung ich mich vertiefen möchte. Geblieben ist: Die Freude am Lernen hält an, wenn man den eigenen Fragen nachgehen darf.

Madleina Rutishauser

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